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KONZEPT ZUR AUSSTELLUNG

Dr. Eckhart J. Gillen​

Wut und Zweifel: Erinnerungsbilder für die Zukunft

Bernhard Heisig zum hundertsten Geburtstag

Zahlreiche Beobachter der deutsch-deutschen Kunstszene vor dem Mauerfall 1989 kennen Bernhard Heisig noch in seiner Rolle als führender Vertreter der Malerei in der DDR, z.B. auf der documenta 6, 1977 in Kassel, und Rektor der berühmten Leipziger „Hochschule für Grafik und Buchkunst“. Diese Hochschule, die er von den 1960er bis weit in die 1980er Jahre hinein maßgeblich geprägt hatte, gilt zurecht als Geburtstätte der Leipziger Schule, aus der nach der Wende in den 1990er Jahren die international bekannt gewordene 'Neue Leipziger Schule' hervor gegangen war, zu deren bekanntesten Vertreter sein Meisterschüler Neo Rauch zählt.

 

Heute, mehr als drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer, hat Bernhard Heisig diese Positionen weit hinter sich gelassen und steht für eine deutsche Nachkriegskunst, welche die ideologischen Konfrontationen des Kalten Krieges souverän überwunden hat. Trotz der Gegensätzlichkeit ihrer Charaktere und künstlerischen Methoden waren es Joseph Beuys (Jahrgang 1921), Bernhard Heisig (Jahrgang 1925) und Gerhard Richter (1932), die in den 1960er Jahren die angebliche Vergeblichkeit der Vergegenwärtigung des den Zeitgenossen damals unfassbar erscheinenden von Deutschen begangenen Zivilisationsbruchs überwanden und nach einer Sprache für das vergangene Grauen suchten.

 

Während Joseph Beuys gegen die überlebensgroßen Monumente der NS-Zeit seine armen Materialien und minimalistischen Zeichen setzte und Gerhard Richter mit seinen nach Fotografien gemalten „Familienbildern“ Mitte der sechziger Jahre die Verstrickungen der dargestellten Personen seiner Dresdner Familie als Täter und Opfer der NS-Vergangenheit zur Erscheinung brachte, nahm sich Bernhard Heisig gegen die Doktrin des Sozialistischen Realismus die Freiheit, am Expressionismus und Verismus eines Lovis Corinth, Max Beckmann, Oskar Kokoschka und Otto Dix aus der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Auch er thematisierte in Bildern wie „Schwierigkeiten beim Suchen nach Wahrheit“ (1973) und „Beharrlichkeit des Vergessens“ (1977) seine Doppelrolle als Täter und Opfer in einer Biografie, die aus Krieg und Diktatur in eine weitere Diktatur und den Kalten Krieg überging. Bei allen Unterschieden verband die drei Künstler die Zweifel an der Wahrheit der Bilder und der Möglichkeit, die Vergangenheit im Bild zu fixieren. Sowohl das Pathos der Abstraktion als authentisches Zeugnis künstlerischer Freiheit als auch der 1 Glaube an eine Sinn stiftende, die Vergangenheit bewältigende Historienmalerei wird in den 1960er Jahren vor allem von Heisig und Richter durch eine Bilderskepsis als Ausdruck eines kritischen Bewußtseins, das sich insistierend selbst befragt, abgelöst. Im Ergebnis finden wir ein heterogenes Werk, das bei Heisig ständigen Übermalungen und Korrekturen ausgesetzt wurde. Liegt dieser Praxis die verzweifelte Wut über die Unmöglichkeit, die Erinnerungsbilder festzuhalten, zugrunde? Wir wissen es nicht.

 

Wie Gerhard Richter interessierte sich Bernhard Heisig nicht für Theorien, Ideologien und Konzepte, sondern immer für das sinnlich Begreifbare, Sichtbare, Reale und Konkrete. Dazu inspirierte ihn sein erster Lehrmeister, der Wirklichkeitsfanatiker Adolph Menzel, dessen Detailbessenheit und Genauigkeit der Beobachtung ihn faszinierte. Richter und Heisig griffen zum Nächstliegenden: die Fotos eines Familienalbums als letzte Verbindung des Emigranten zu seiner Dresdner Familie oder die von konkreten Gegenständen, Fotografien und Filmen ausgelösten Erinnerungen des jungen Soldaten an den Krieg.

 

Trotz vieler Gemeinsamkeiten mit diesen westdeutschen Künstlern, nimmt Bernhard Heisig eine einzigartige Position in der deutschen Nachkriegskunst ein. Sicher ist es kein Zufall, dass sich gerade an seiner Person der deutsche „Bilderstreit“ nach dem Fall der Mauer in den 1990er Jahren entzündete.

 

Inzwischen haben sich die Wogen gelegt und die Zeit ist reif für eine gelassene Betrachtung seines Lebenswerks anlässlich seines hundertsten Geburtstages 2025. Seit der letzten großen Ausstellung 2005/2006, die von seiner langjährigen Wirkungsstätte in Leipzig über Düsseldorf, die Nationalgalerie Berlin in das „Schlesische Nationalmuseum“ seiner Geburtsstadt Breslau (heute Wroclaw) führte, sind dann bereits wieder 20 Jahre vergangen.

 

Das für ihn, Deutschland und die Welt so entscheidende Kriegsende wird dann 80 Jahre zurück liegen und seinem Werk, das von einer sein Leben bestimmenden Wut über einen rassistischen Vernichtungswahn, der unendliches Leid über das eigene Land, den Kontinent und die Welt gebracht hat, bestimmt ist, immer noch höchste Aktualität verleihen. 1925 in Breslau geboren, stand im Zentrum seiner künstlerischen Erinnerungsarbeit immer wieder seine Geburtstadt, die er im Zweiten Weltkrieg als „Festung Breslau“ bis zum bitteren Ende verteidigen sollte. In diesen Gemälden gelang es Heisig in den 1960er und 1970er Jahren die damalige gespenstische Atmosphäre und Absurdität 2 der Situation zu topographisch genauen Sinnbildern zu verdichten. Im Prozess des Malens holte er sie aus der Erinnerung zurück. Diesen topographisch noch heute lokalisierbaren, konkreten Ort machte Heisig zur Bühne einer surrealen BildInszenierung. Der Krieg ist hier nicht das Donnern der Geschütze, der Nahkampf Mann gegen Mann, sondern die Agonie der Muskeln, der Schmerz, der sich nicht mitteilen, sondern nur zeigen läßt im Bild. In diesem Sinne sind Heisigs Bilder mehr Abdruck des Schmerzes und Negativ des Grauens als Abbild. Mit seinen Bildern will Bernhard Heisig einer vergangenen Gewalt- und Schmerzerfahrung im Krieg zum Ausdruck verhelfen. Im Rückblick erkennen wir, dass seine Bilder die Wunde’ als tragisches Leitmotiv der deutschen Kunst im 20. Jahrhundert aufgreifen.

 

„Wie kaum ein anderer Künstler seiner Generation hat Heisig dem Phänomen Rechnung getragen und Ausdruck verliehen, daß sich die Bilder der Erinnerung und die Erinnerung an die Bilder verschleifen und potentiell wandeln können. Auf diese Weise gewinnen sie gleichsam einen proteushaften Charakter.“ (Armin Zweite)

 

Sein Anspruch als Künstler an sich und sein Werk war absolut und kompromißlos:

 

„Wo es nicht gelungen ist, das Bildsignal so zu verdichten, daß es [...] wie ein Schlag auf mich zukommt, ist das Bild nicht gut.“ ¹

 

Die Ausstellung wird neben 50 Gemälden und 60 Lithographien vor allem bisher unbekannte Handzeichnungen aus dem Nachlass aus allen Phasen seines Werkes zeigen. Dazu sollen Fotografien und Filme präsentiert werden, die ihn bei seiner künstlerischen Arbeit inspiriert haben.

Zu sehen sein werden neben

“Traum des Soldaten“

”Festung Breslau“

“Begegnung mit Bildern“

“Christus fährt mit uns“

“Christus verweigert den Gehorsam“

“Preußen“

“Zwei deutsche Maler (für Felix Nussbaum und Max Liebermann)“

“Weltbilder und Panoramen der Erinnerung“

 

auch Heisig's berühmte

“Atelierbilder“

“Mutterbildnisse“

“Selbstbildnisse“

“Porträts“

sowie die graphischen Zyklen, darunter

“Der faschistische Alptraum“

Ludwig Renn: “Krieg“

Anna Seghers: “ Das siebte Kreuz“

Heinrich Böll: “Der Zug war pünktlich“

Theodor Fontane: “Schach von Wuthenow”

Berlin den 5. Juni 2020

¹ Bernhard Heisig, Der faschistische Alptraum. Lithographien und Texte, Leipzig 1989, S. 114.

VITA
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